Das Ende für die Künstler und ihre Waggons naht, die Aufräumarbeiten sind im vollen Gange. Auch auf dem benachbarten Schrottplatz blickt man nach vorne. Die Betreiber stellen nächste Woche die Pläne für ihren neuen Standort vor. Von Benjamin Schieler
Da steht Aurèle Mechler nun – auf gerodetem Gebiet an den Gleisen im Inneren Nordbahnhof – und blickt sich erstaunt um. „Brutal, wie das hier aussieht“, sagt er und in seinem Kopf spielt sich dieser Film ab, der von zwölf Jahren Leben und Schaffen in den Waggons spielt, deren Ende immer näher rückt. Sie sind kräftig am Aufräumen, die Künstler der Ateliergemeinschaft Bauzug, über die in den vergangenen Wochen in den politischen Gremien der Stadt so viel gesprochen wurde. Anfang April endet die Galgenfrist, die sie von ihrem Vermieter erhalten haben, der Deutschen-Bahn-Tochter DB Services Immobilien. Und deswegen räumen sie auf, klauben das Material zusammen, das sich in den vergangenen Jahren angesammelt hat, das sie vom benachbarten Schrottplatz, der JKS Karle Entsorgung und Recycling GmbH erhalten haben.
Der Wandel der Zeit für den Inneren Nordbahnhof wird in diesen Tagen besonders sichtbar, da sowohl die Künstler, als auch der Schrott-Karle, wie ihn alle nennen, sich der eigenen Zukunft widmen. Der Pachtvertrag der Karles läuft zwar noch bis Ende 2012, das neue Quartier ist aber bereits ausgewählt. Wichtige Gutachten wurden eingeholt, der Genehmigungsantrag soll bis Ende des Monats beim Amt für Umweltschutz liegen. Auf dem Güterbahnhofgelände in Feuerbach soll die neue Heimat entstehen, die Pläne stellt Geschäftsleiter Stephan Karle nächsten Dienstag im dortigen Bezirksbeirat vor.
Einen Tag später sind die Künstler im Bezirksbeirat Bad Cannstatt, um ihrerseits dafür zu werben, in Containern auf dem dortigen Güterbahnhof eine neue Heimat zu bekommen. Etwa die Hälfte derer, die zuletzt den Nordbahnhof belebt haben, wollen mitgehen – eine ordentliche Quote, wie Mechler findet. Der Rest verstreut sich in alle Himmelsrichtungen, manche nach New York, andere nach Indien. „Wir hatten eine lebendige Nachbarschaft“, sagt Stephan Karle über die Künstler. Der Betrieb hat die Kreativen häufig mit Materialen unterstützt und zugesagt, die Waggons nach dem Ende abzukaufen, um sie zu verschrotten.
Vor gut einer Woche liehen die Karles ihren Nachbarn einen Kran aus, damit diese Teile der Außeninstallationen ihres Umfelds abreißen konnten. Eine Tribüne, erst im vergangenen Jahr ist sie gebaut worden, verschwand in Windeseile. Im Internettagebuch der Gemeinschaft ist der Abbau im Zeitraffer zu sehen. Dennoch ist noch viel zu tun – und manches Unterfangen verlangt einen mächtigen Kraftaufwand. Die Hoffnung etwa, die Bahn würde die Verlegung der Waggons nach Süden, in Richtung der Gedenkstätte Zeichen der Erinnerung also, mit Maschinen unterstützen, scheint vorerst passé. Um die Waggons dorthin zu transportieren, wo sie vorübergehend unterkommen könnten, ohne den Vorbereitungsarbeiten Einrichtung der Baulogistikfläche von Stuttgart 21 im Weg zu sein, braucht es nach Ansicht von Mechler einen Zwei-Wege-Bagger oder eine Lok.
Auch wie sie die Prellböcke aus dem Weg schaffen können, ist Mechler noch unklar. „Das wird aufwendig, aber wir kriegen das hin“, sagt er. Mut macht ihm, dass er ein „Phantomgleis“ entdeckt hat. Eines, das auf keinem Plan eingezeichnet zu sein scheint und auf dem die Waggons fürs Erste stehen bleiben könnten. Allein: es klafft eine Lücke, ein Gleisstück fehlt. Ein Problem, das noch gelöst werden will.
Viel Zeit zum Luftholen bleibt für die Künstler nicht in diesen Tagen. Und dennoch gibt es sie, die Phasen der Erinnerung. „Es tut natürlich weh, hier wegzugehen“, sagt Aurèle Mechler. Eine tolle Zeit habe er am Nordbahnhof erlebt, eine Zeit voller Freiheit. Aber die Motivation, an anderer Stelle im neuen Gewand etwas Neues auf die Beine zu stellen, ist groß. „Es gibt weltweit schöne Beispiele, wie man in Containern Projekte auf die Beine stellen kann.“ Die Künstler blicken nach vorne.