Mit dem Konzertwaggon für Flüssigkeiten und Schwingungen, kurz FFUS, geht es langsam zu Ende. Die Bahn hat dem Betreiber zum 31. August gekündigt. Noch zwei Abende sind offiziell geplant, am kommenden Wochenende. In den Wochen danach soll dann eine von zwei Waggon-Reihen verschrottet werden. Wegen Stuttgart 21.
Doch jedem Ende wohnt ein Anfang inne, so pseudoliterarisch kann man das durchaus sagen. Verantwortlich dafür ist ein junger Mann namens Levin Stadler, der sich Levin goes lightly nennt und am Samstagabend im Waggon seine Platte „Dizzy Height“ vorgestellt hat. Wie voll das war! Und wie gut!
Elvis und Ian Curtis haben einen Sohn
Man darf nicht übertreiben bei Musikern, die erst ein paar Gigs gespielt haben und eine vielversprechende erste Aufnahme rausbringen. Aber Levin goes lightly ist das Kind, das Elvis Presley und Ian Curtis von Joy Division nie zeugen konnten. Vom Alter her würde das mit einigem Wohlwollen vielleicht sogar hinkommen. Vor allem in Sachen Musik drängt sich der Vergleich auf. Wenn man das, was im Netz an Levin-goes-lightly-Musik zu finden ist, gegen den Auftritt am Samstagabend im Konzertwaggon schneidet, eröffnet sich ganz wie bei Elvis eine wunderbar weite musikalische Welt.
Lo-Fi ist das alles, auf Platte gehen die Songs ziemlich angenehm ins Ohr. Der Retrosound ist geprägt von der tiefen, festen, doch gefühlvollen Stimme. Live hingegen wird daraus eine gitarrenlastige Rock’n’Roll-Show mit viel verhalltem Gesang, Leopardenleggins und, ja, Hüftschwung.
Diese verschwitzte Show fördert wie bei jedem anständigen Song die Verwirrt- und Verunsicherheiten zutage, die hinter der vorgeblich schönen Fassade der in diesem Fall höchst eingängigen, auch harmonischen Songs lauern; die einfach da sind und die sich bestenfalls überdecken, nicht wegdenken lassen – Psychedelic ist die Schublade, die das Feuilleton dafür anbietet.
Wer am Samstagabend nicht dabei war und sich darunter nichts vorstellen kann, sollte sich als Erstes die drei Tracks anhören, die Levin goes lightly auf Bandcamp veröffentlicht hat. „Feeling“ ist eine balladeske, ruhig dahinfließende Nummer, die genau so vom bereits genannten Elvis Presley hätte gesungen werden können. Live, mit viel mehr Tremolo in der düsteren Stimme und ganz expressiv gespielter, verzerrter Gitarre, klingt das ganz anders.
Eine Idee vermittelt der ebenfalls auf Bandcamp anzuhörende Song „Dizzy Height“, bei dem die perkussiven Gitarren wummern, wummern, wummern. Das klingt dann wie ein Schlagzeug der ikonischen US-Schock-Punker Suicide. Die haben in den Siebzigern ihr Publikum mit ihrer (noch ein bisschen psychedelischeren) Musik regelrecht gegen diesen Sound und wahrscheinlich auch gegen die eigenen Widersprüchlichkeiten aufgebracht.
Auch die Musik von Levin goes lightly macht etwas mit dem Zuhörer, besonders live. So geht guter Pop, und wie am Samstag zu hören war, haben Kumpels von Levin goes lightly das Label „Treibender Teppich Records“ vor allem zu dem Zweck gegründet, den jungen Musiker aus dem Waggon-Umfeld „groß rauszubringen“. Auch hier muss man erst einmal vorsichtig sein, aber das Potenzial ist da.
Es geht weiter
Am Samstagabend war im Konzertwaggon jedenfalls einer der besten Momente des Stuttgarter Popjahrs mitzuerleben. Und der Waggon war der richtige Ort, um diese Musik einer breiteren Stuttgarter Öffentlichkeit zu präsentieren. Was den absehbaren Verlust dieser in der Stadt wahrlich einmaligen Subkultur-Location umso schmerzhafter macht.
Wie also geht es weiter? Von dem Waggon-Betreiber Moritz hieß es am Samstag auf kurze Nachfrage, dass er im Herbst einige Male im Theater Rampe Musik machen werde, ähnlich wie es für ganz kurze Zeit Reiner Bocka vom Café Galao gemacht hat. Was danach kommt, kann noch keiner sicher sagen. Und Levin goes lightly? Den gibt es am 19. Oktober bei der Stuttgarter Kulturnacht zu sehen, bei Contain’t am Güterbahnhof – also da, wo einige Ex-Waggon-Nutzer gerade einen neuen Subkulturort schaffen. So wohnt diesem Ende … ach, lassen wir das. Die Waggons beziehungsweise die Reihe mit dem Musikwaggon, sie werden uns fehlen. Aber die Musik, die geht weiter.